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Bildungsreise

Reisen bildet, weil Erfahrungen unvermeidbar sind und sich so Gelegenheit bietet (Neugier), mit Neuem umzugehen, also etwas hinzuzulernen.

Damit wird die Reise aber nicht zur Bildungsreise, Forschungsreise oder Studienreise. Der wesentliche Unterschied liegt im Zielsystem. Dieses richtet sich primär auf den Informationsfluss (der immer auch mit Stoff- und Energieflüssen verbunden ist), also das Verarbeiten, Übertragen und Speichern von Information zum Aufbau von Wissen. Voraussetzung dafür ist eine Informationsquelle.

  • Eine Bibliotheksreise sucht nach vorhandenem, aber vielleicht verschüttetem Wissen im Speichermedium ‚Buch‘ an anderen Orten.
  • Eine Studienreise richtet den Fokus auf einen bestimmten Gegenstand (z. B. Gotische Kirchen), bedarf jedoch eines Mediators (z. B. Studienreiseleiter), der sach- und fachkundig die Perspektive auf diesen Gegenstand erläutert (z. B. Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Architektur …) und das Wissen systematisiert. Ihr Ziel ist es, die persönliche Bildung zu erweitern.
    • Wolfgang Günter (Hg.)
      Handbuch für Studienreiseleiter : Pädagogischer, psychologischer und organisatorischer Leitfaden für Exkursionen und Studienreisen.
      392 S. Oldenbourg 2018: Wissenschaftsverlag. Inhalt
  • Die Forschungsreise soll neues Wissen erschaffen und fokussiert dabei ihr erkenntnisleitendes Interesse auf eine Wissenslücke. Das Ziel des Forschers ist es, den Stand der Wissenschaft zu erweitern. Voraussetzung dafür sind die Kenntnis des bekannten Wissens, eine klare Fragestellung und eine Methodik zur Untersuchung im Unterschied zum 'Erkunden'.
    • Dabei kann die Exkursion als Organisationssystem eine Form des Probehandelns sein, etwa zur Ausbildung von Studenten.
  • Die Entdeckungsreise überschreitet eine weitere Grenze, weil sie den Entdecker ins Unbekannte führt, also kaum auf Vorwissen zurückgreifen kann, daher auch flexibel in der Methodik sein muss.

Studieren, forschen und entdecken sind Handlungssysteme mit Studierenden, Forschern und Entdeckern als personalen Systemen. Von 'Exkursion' und 'Expedition' lassen sich weder Verben noch Figuren ableiten, weil sie Organisationssysteme sind.

  • Christian v. Zimmermann (Herausgeber und Vorwort)
    Wissenschaftliches Reisen - reisende Wissenschaftler. Studien zur Professionalisierung der Reiseformen zwischen 1650 und 1800.
    Cardanus Jahrbuch für Wissenschaftsgeschichte Heidelberg 2003: Palatina. Online
    Von Zimmermann entwirft im Vorwort (S.7–18) mögliche Perspektiven auf die 'Gelehrtenreise', so unterscheidet er dort etwa deren Funktionen zur Wissenserweiterung (etwa mittels Bibliotheksreisen), zur Kommunikation (mittels Reisen zu anderen Gelehrten), zur eigenen Ausbildung (Studienreise), zur empirischen Datenaufnahme (Forschungsreise).
  • Thomas Freller
    Die Erfindung der Bildungsreise.
    232 Seiten, 24 Textabb., Auswahl-Bibliographie. Ostfildern 2007: Thorbecke.

Rezension in DER TROTTER von Norbert Lüdtke:
Unter Globetrottern ist es Konsens, dass Reisen mannigfach bildet. Wenn man es zuläßt, sammelt man beim Reisen nicht nur Erfahrungen, sondern es entwickelt sich ein tieferes Verständnis der Welt und seiner selbst. Stärken, Schwächen, Möglichkeiten werden täglich neu getestet.

Das wußten auch schon die Altvorderen. Und so wurde zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert die »Bildungsreise« gepflegt, Peregrinatio academia. Keine Karriere ohne eine mehrjährige Reise durch Europa. Waren es anfangs eher Adlige, die auf eine »Grand Tour« gingen, so wandelte sich die Methode später zum erfolgreichen Modell aller Schichten, zunächst als »Cavalierstour« oder »Junkerfahrt«, dann als Bildungsreise und so auch als Vorläufer der Studienreise und des Bildungstourismus (»Bildungslandstreicher«). Und so läßt sich durch die Geschichte ein roter Faden erkennen, der vom müßigen, neugierigen und bildungsbeflissenen Gentleman zum Globetrotter führt.

Der Autor ist Historiker und gilt als Spezialist für die Geschichte des Mittelmeerraumes, er arbeitet als Dozent, Lektor und Publizist. Doch das vorliegende Buch ist keine akademische Untersuchung, die etwa den Wandel der Motive bloßlegen würde oder eine zeittypische Typologie entwickelt. Vielmehr hat der Autor das Publikum im Auge und sucht nach Exemplaren dieser reisenden Spezies, die vom Regelfall abwichen, sei es aus Neugier, Wissensdurst oder Abenteuerlust. Die hier vorgestellten Persönlichkeiten sind daher die Ausnahmen von der Regel:

  • Bernhards von Hirschfelds Touren in Ägäis und Levante
  • Ahasverus von Lehndorffs zehnjährige Europatour
  • Otto Friedrich von der Gröben auf Korsarenschiffen … 18 Reisende werden vorgestellt, darunter Elisa von der Recke als einzige Frau.

Verweise

  • Hamann, Christof, Wilhelm Voßkamp
    Bildungsreise.
    S. 159-167 in: Handbuch Literatur und Reise. Stuttgart 2024: JB Metzler.

Hodoeporicon
Grand Tour
→ Liste der Ausstellungen zur Bildungsreise
Literaturliste Grand Tour und Bildungsreisen

wiki/bildungsreise.1766729215.txt.gz · Zuletzt geändert: von Norbert Lüdtke